ICH SEH DAS SO. ICH SEH DAS SO.: The transient scent of time.
 

2
Jun
2011

The transient scent of time.

Almost three years ago, I applied for Journalism School in Berlin. I made it to the next round, but before my interview and knowledge test (for which I practiced for months...) took place, the school basically went bankrupt and canceled the upcoming school year for an indefinate time (>>indefinate<<, still...).

Completely frustrated, in an instant, I decided to go to >>New York<< and almost completely stopped writing, concentrating on photography. Maybe it was the naive thought of failure (though it wasn't even my fault) that my young mind couldn't handle, so I got stubborn and decided: it's over!

I never regretted my decision, because I think I was more talented (and definately more passionate) for photography anyways, though I still get nostalgic sometimes and the lack of practice has definately worthened my writing, though I still do, occasionally.

While organizing hard drives I found my application for Berlin's journalism school the other day and thought I'd share my (text&photo) portrait of "the last of his kind" (application topic), perfumer Lutz Lehmann. I still get tears and my eyes when reading it. Not certainly because of the life crisis and uprising it caused, but much more because I simply felt with this guy and was really touched by his story. I guess I just always get too attached too quickly.

I fall in love so easily...

It's in German, but who cares? (>>Google-Translate<< it!)

Der flüchtige Duft der Zeit

Parfüms nach Gewicht ist die vielleicht kleinste Parfümmanufaktur der Welt, ihr 57-jähriger Inhaber Lutz Lehmann einer der letzten Parfümeure Deutschlands.

Carolin Weinkopf, Parfüms nach Gewicht, Parfum, Manufactury, Berlin, Harry Lehmann, Lutz Lehmann

Lutz Lehmanns Nase ist die einzige freischaffende Berlins. Täglich drei Stunden Training – „das ist am wichtigsten, neben dem Talent.“ Sorgen macht ihm, dass sie trotz regelmäßiger Übungseinheiten allmählich schlechter riecht, statt besser. „Das ist der Preis des Alters“, sagt er, und sieht traurig aus dabei. Denn seine Nase hat keinen Nachfolger.

Unscheinbar ist der Laden in der Kantstraße 106 von außen. Erst beim Eintreten strömt ein Hauch von Weltgeist, von Hoffnung und Wehmut auf den Charlottenburger Gehsteig. Der Grund lagert drinnen in zahllosen Glasbäuchen: grünlich schillernd bis cognacfarben tauchen Parfüms aus drei Generationen die Szene in ein warmes, weiches Licht.

Carolin Weinkopf, Parfüms nach Gewicht, Parfum, Manufactury, Berlin, Harry Lehmann, Lutz Lehmann

In den Hinterzimmern jenseits der Theke erschließt sich Lehmanns Welt. Die Tapete löst sich von den Wänden, es scheint, als hätte sie dem süßlich-herben Duft, der sich aus dem geheimen Kellerlabor seinen Weg in die Räume bahnt, mit dem Alter nachgegeben. Schränke säumen den Gang, in den Ecken stapeln sich Kartons. Hier und da ein paar verstaubte Fotos. Die surrende Kaffeemaschine wirkt verloren zwischen den Relikten einer 82-jährigen Familiensaga.

Über Afrika soll Harry Lehmann um 1900 bis Arabien gereist sein, bevor er sich in Berlin geschäftlich niederließ. Im südfranzösischen Grasse hatte der Weltenbummler einst auf Wanderschaft das Parfümhandwerk erlernt. Seitdem war er mit einer Ostseefischerei, arabischen Rennpferden und Immobilien längst zum reichen Mann geworden.

Während im Frühling 1926 Josefine Baker im Bananenrock Berlin den Charleston lehrte, eröffnete Lehmann in der Potsdamer Straße sein Parfümhaus. Bewusst verzichtete er auf Werbung und aufwändige Flakons. In schlichten Glasflaschen konnte er so das Luxusgut zu kleinen Preisen anbieten, ohne an der Qualität zu sparen. Seit jeher gehören Menschen aus jeder Schicht und allen Altersklassen zu den Kunden. Neben den ersten zehn Kreationen bot der Großvater des heutigen Eigentümers Seidenblumen an, auf Wunsch mit einem Tropfen des Lieblingsdufts veredelt.

Carolin Weinkopf, Parfüms nach Gewicht, Parfum, Manufactury, Berlin, Harry Lehmann, Lutz Lehmann

Über die Blumen hat Lehmann, der Enkel, oft nachgedacht. Die verkaufen sich nicht mehr so gut, Moden ändern sich eben. „Irgendwie gehören sie aber zu uns, genau wie die Parfüms.“ Geändert hat sich über zwei Generationenwechsel hinaus ohnehin nicht viel. Bis auf den Standort, der sich dem bewegten Lauf der Berliner Geschichte des Öfteren anzupassen hatte.

In der Potsdamer Straße wichen die Lehmanns der von Hitler geplanten Nord-Süd-Achse, in der Friedrichstraße wurde das Geschäft im Krieg total zerstört. Nur wenige Blöcke weiter wurde die Familie schließlich aus dem Osten vertrieben. Fortan parfümierte sie weiter westlich, erst am Zoo, seit 1958 in der Kantstraße. Das Inventar kam immer mit, erst seit ein paar Jahren muss es sich den Platz mit Computer, Fax und Drucker teilen.

Nach dem Mauerfall fanden auch viele Ostberliner den Weg zurück zu Lehmann. „Überglücklich“ sind die, „dass ich ihnen auch heute noch ihr Parfüm von damals mischen kann“. Denn wer einmal eins erstanden hat, dessen Duftrezept bleibt in blassblauer Tinte für immer dokumentiert.

Plötzlich klingelt das Telefon, „eine Stammkundin“, entschuldigt sich Lehmann und notiert sich geduldig alle Wünsche. „Wer möchte, kann sich sein Parfüm in die ganze Welt verschicken lassen.“ Rund 50.000 Kunden führt die Kartei. Dazu gehören von jeher auch zahlreiche Prominente. Die behandelt Lehmann streng diskret, noch nie hat er einen Namen ausgeplaudert. Die Dietrich immerhin liebte Veilchen, das hat Lehmanns verstorbene Mutter einmal einer Journalistin verraten.

Neben der Nase gehört Menschenkenntnis zu den Qualitäten des Meisters. Zunächst analysiert er, ob es sich um einen „blumigen, grünen oder orientalischen Typ“ handelt und hält dem Kunden ein paar Düfte unter die Nase, dann gibt er spontan und mit fast anmaßender Präzision seine Empfehlung. So viel Aufmerksamkeit bekommt man heutzutage selten.

Carolin Weinkopf, Parfüms nach Gewicht, Parfum, Manufactury, Berlin, Harry Lehmann, Lutz Lehmann

Zeit muss mitbringen, wer sich durch das ganze Sortiment schnuppern möchte, denn nach fünf bis zehn Riechproben sind die Rezeptoren in der Nase erst einmal besetzt. Wenn sich unter über 50 Kreationen - neben Klassikern auch immer wieder Neuerscheinungen - nicht das Passende findet, lässt sich die individuelle Note auch zusammenmischen. Besonders anspruchsvoller Kundschaft erschafft der Meister gegen gutes Geld schon mal einen ganz eigenen Geruch.

Das Geschäft läuft, Lehmann kann sich nicht beklagen. Kopfschmerzen bereiten ihm jedoch die EU-Richtlinien, die über sein Handwerk verhängt wurden. „Weil ein paar Laborratten Pickel bekommen haben“, darf er zwar mit Thymian sein Essen würzen, aber nicht mehr seine Düfte. „Moschus, Lavendelöl, alles wurde eingeschränkt.“ Jahrhunderte lang hätten Parfümeure diese Substanzen verwendet. Und wenn denn mal jemand etwas nicht vertragen habe, „Gott, dann habe ich ihm etwas anderes gemischt“. Nun muss er Jahrzehnte alte Düfte mühsam neu entwickeln. „Der Charakter eines Parfüms setzt sich aus 50 bis 200 Duftbausteinen zusammen. Wenn Sie einen davon wegnehmen, verändert sich die Harmonie. Manche Riechstoffe lassen sich durch nichts ersetzen.“

Carolin Weinkopf, Parfüms nach Gewicht, Parfum, Manufactury, Berlin, Harry Lehmann, Lutz Lehmann

Über das, was kommen mag, wenn die Nase eines Tages aussetzt, will Lehmann heute noch nicht nachdenken. Dem Familiennachwuchs fehlt es an Interesse, an Platz im Laden für Azubis. „Es sieht momentan so aus, als würde das alles hier mit mir sein Ende finden.“

Früher sei die Kantstraße als elegante Flaniermeile über die Grenzen der Stadt hinweg bekannt gewesen. Daraus ist heute ein Sammelsurium von Import-Export-Läden und Fastfood-Restaurants geworden. Mit Lutz Lehmann wird eines der letzten traditionsreichen Geschäfte von dort verschwinden. Der Duft von "Maiglöckchen", "Wüstenwind" und "Eau de Berlin" wird freilich bleiben. Noch 24 Stunden... „Danach“, sagt Lehmann, „ist auch der Duft des besten Parfüms verflogen.“

Text & all Photos: Carolin Weinkopf (2008)



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